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Narzissmus erkennen - Interview mit Jessica Chmieliczek


Ist es wirklich so, dass wir auf eine narzisstische Gesellschaft zusteuern?


Was bedeutet dieser Begriff genau und wie grenzt man klinisch ein bisschen Selbstverliebtheit von einer Persönlichkeitsstörung ab?


Narzissmus ist ein heiß diskutiertes Thema, der Begriff wird inflationär benutzt.


Umso wichtiger ist es, die Strategien und Gründe für das Handeln von Narzisst*innen zu verstehen und erkennen.


So kannst du besser erkennen, wer dein Gegenüber ist, solltest du einem Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung auf den Leim gehen.

Denn der Missbrauch durch Narzisst*innen verletzt tief und lässt die Opfer lange im Nebel.


In Youtube bin ich auf Jessica gestoßen, die sich mit den Themen Narzissmus und toxischen Beziehungen tief auseinandergesetzt hat.

In unserem zweiteiligen Interview gehen wir den Ursprüngen von Narzissmus auf den Grund und klären über den Missbrauch der Psyche auf.


Triggerwarnung: Im folgenden Interview geht um um Narzissmus, frühkindliche Prägung und narzisstischen Missbrauch. Bei Problemen wende dich bitte an eine psychologische Beratungsstelle, deinen Arzt/Ärztin - oder an Jessica direkt. Ihre Kontaktdaten sind am Ende des Interviews verlinkt.




Wer bist du, was machst du und wie kamst du dazu?


Mein Name ist Jessica, ich bin Diplompsychologin und arbeite als Coach für Beziehungsthemen am schönen Bodensee.

Darüber hinaus betreibe ich den Youtube-Kanal Herzbooster .



Hier beschäftige ich mich momentan vorwiegend mit narzisstisch-toxischen Beziehungsdynamiken.

Außerdem habe ich kürzlich mit meinem ersten Buch über diese Thematik begonnen.



Zur Psychologie kam ich, da mich die Abgründe der menschlichen Psyche und deren Bandbreite faszinieren, so lange ich denken kann. Auch wenn es klischeehaft klingt: Filme wie „Sieben“, „Das Schweigen der Lämmer“ oder „Copykill“ haben mich in dieser Passion bestätigt.






Was ist Narzissmus genau?


Narzissmus ist eine Persönlichkeitsstörung.

Es gibt sehr unterschiedliche Ausprägungen hinsichtlich Form und Intensität.


Was jedoch allen Narzissten gemein haben, sind ein hohes Maß an Egozentrik, verbunden mit einer gewissen Anspruchshaltung (Entitlement), übermäßig großes Bedürfnis nach Bewunderung und kein bzw. nur ein „kaltes“ Empathievermögen.


Problematisch im zwischenmenschlichen Bereich sind vor allem eine paranoide Grundstruktur basierend auf fehlendem Urvertrauen sowie die Tendenz, stark ausbeuterisch und manipulativ in Beziehungen zu agieren.


Außerdem sind sie sehr leicht kränkbar und können bei realer oder nur wahrgenommener Beleidigung/ gefühlter Ablehnung erbarmungslos zum Gegenschlag ausholen.


Welche Subtypen gibt es im Narzissmus?


Es werden etliche Unterformen des Narzissmus diskutiert.

Zentral ist dabei die Unterteilung in offene bzw. verdeckte Form.


Beim offenen, grandiosen Narzissten sind die oben genannten Züge sehr schnell zu erkennen – der selbstverherrlichende Glanz und auch das manipulative, wertende Vorgehen werden einem geradezu aufgedrängt.


Dahingegen gestaltet es sich beim verdeckten, vulnerablen Typus schon etwas schwieriger.

Hier kann der Narzissmus und die Absichten sehr gut getarnt sein.


Die Abwertungen und Manipulationen in der Interaktion kommen zunächst sehr subtil daher.

Hier finden sich unter Umständen auch vermehrt psychopathische Anteile wieder, die es ihnen ermöglich ihre Machenschaften hinter einem gut polierten Image oder Auftreten zu verschleiern.


Insgesamt ist diese Variante der Borderline Persönlichkeitsstörung recht ähnlich, was unter anderem das instabile, schambehaftete Gefühlsleben und Hang zur Depression betrifft.



Mehr Details zu Abgrenzung und Verständnis von verdecktem Narzissmus:



Was sind typische Ursache für die Ausbildung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung?


Es wird heute angenommen, dass pathologischer Narzissmus aus einer Kombination von Erziehung, Erfahrungen und genetischer Vorprägung resultiert.



Zum Beispiel konnte die genetische Vorprägung in einer Studie an 3-Jährigen nachgewiesen werden. Probanden bei denen später die Diagnose „Narzisstische Persönlichkeitsstörung“ gestellt wurde, zeigten bereits mit drei Jahren ein überdurchschnittliches aggressives und oppositionelles Verhalten, eine reduzierte Impulskontrolle sowie eine Tendenz zur Selbstidealisierung.


Da man bei 3-Jährigen davon ausgeht, dass sie noch nicht maßgeblich durch Erziehung und Erfahrungen zu narzisstischem Verhalten hin beeinflusst werden konnten, gilt dies als Nachweis für genetische Vorprägung (Carlson und Gjerde, 2009).


Zwei besonders kritische Erfahrungen sind das „kleiner-Prinz-Syndrom“ und einem durch bestimmte Erziehungsfaktoren herbeigeführtem fehlenden Urvertrauen.


Beim kleinen-Prinz-Syndrom, wird das Kind permanent idealisiert in den Himmel gehoben, stößt an keinerlei erzieherischen Grenzen.


Dies gibt ihm das Gefühl der Nabel der Welt zu sein, woraus eine gewisse Anpruchshaltung und Überheblichkeit resultiert.


Dies können auch Familien sein, in denen materiell kein Mangel herrscht und wo äußerer Status und häufig Leistung einen hohen Stellenwert innehaben, zwischenmenschlich aber keine wirklich tiefen Bindungen bestehen.

Es gibt keine bedingungslose Liebe in diesen Familien, jedoch an Leistung gekoppelte Anerkennung.

Der vermutlich häufigste Ursprung wird in einem durch bestimmte Erziehungsfaktoren mangelhaft aufgebautem Urvertrauen gesehen.


Die Erfahrung von emotionaler Kälte der Eltern, autoritärer, latent-aggressiver und leistungsorientierter Umgang führt zu einer Störung im Aufbau des Urvertrauen.


Die wahren Bedürfnisse des Kindes werden hier nie gesehen, seine wahre Identität kann sich nie wirklich ausbilden, weil jeder Versuch diese auszudrücken mit Missachtung, oft auch Spott und Abwertung quittiert wird, was die Kreation des „Falschen“, idealisierten Selbst und der reduziert-emphatischen Bindung zur Umwelt erklärt.


Dem Kind wird quasi das Urvertrauens verwehrt, was für jedes Kind eine so wichtige Grundvoraussetzung für eine gesunde, emotionale Entwicklung und den Aufbau von Beziehungen darstellt.


Trifft diese Kindheitserfahrung im Jugendalter auf Nachsicht und Gleichgültigkeit beim Austesten der Grenzen, entsteht Narzissmus mit erhöhter Wahrscheinlichkeit als Kompensationsstrategie kindlicher Wunden:

Der Narzisst erfährt die eigene Größe, indem er sich mit emotionaler Kälte und gemäß des erfahrenen Spott und der Abwertung über andere stellt.


Diese Muster werden im Erwachsenenalter „perfektioniert“ und bei der Erziehung eigener Kinder über Generationen hinweg weitergegeben werden.



Wo tauchen Narzissten besonders häufig auf?


Im Grunde kann man sie überall antreffen, von der Hochfinanz bis hin zum gemeinnützigen Tierschutzverein.


Vermehrt jedoch überall da, wo es möglichst viel reale oder vermeintliche Macht auszuüben und Anerkennung zu erlangen gibt:

In der Politik, Wirtschaft, Showbusiness, Leistungssport, Justizapparat, im Lehrerberuf, der Medizin sowie Psychologie, Psychotherapie, Pflege und Sozialarbeit, Neuro-Linguistisches Programmieren, Persönlichkeitsentwicklung , social Media und Spiritualität/Esoterik.



Kannst du ein Beispiel nennen?


Ein Beispiel wäre ein Chorleiter, der dem Publikum gleichermaßen wie seinen Chormitgliedern suggeriert, sie seien eine Familie, in der alle gleichberechtigt etwas Einzigartiges kreieren.


Was er jedoch eigentlich meint ist, dass Publikum und Mitglieder ihm gleichzeitig zu huldigen und grenzenlos ihre Zeit und Energie zur freien Verfügung zu stellen haben.


Durch die Betonung des „familiären“ Charakters erschafft er eine Atmosphäre in der sich seine Abwertungen und Druck erzeugenden Aktionen verharmlosen bzw. mit Loyalität rechtfertigen lassen.


In strengem Regime fordert er von allen Pünktlichkeit ein.

Er selbst nimmt es mit den abgemachten Zeiten nicht so genau und kommt gerne mal eine halbe Stunde zu spät. Er benutzt die Mitglieder wie Marionetten, um sich selbst ins Rampenlicht rücken zu können.


Für den Erfolg der gemeinsamen Sache, lässt er auch gerne noch einen Special-Guest für ein Konzert einfliegen, den er dann vor den Chormitgliedern für eine perfekte Show platziert.

Die in den Hintergrund gedrängten Chormitglieder können diese Inszenierung durch einen erhöhten Beitrag unterstützen, damit die Zusatzkosten für die gemeinsame Sache ausgeglichen werden können.


Ein vergleichsweise harmloses Beispiel, was jedoch die Dynamik bezüglich erzeugter Abhängigkeiten und hübsch verpackter egozentrischer Intentionen aufzeigt.



Wie du narzisstischen Missbrauch erkennst und welche perfiden Strategien Narzisst*innen wählen, um dich zu umgarnen, erfährst du im zweiten Teil des Interviews.



Mehr zu Jessica gibt es auf ihrem Youtube Kanal und ihrer Website.

 

TATSINN ist eine One Woman Show aus Berlin für mentale und emotionale Transformation. Für Mensch & Unternehmen.

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