In meinem Blogbeitrag Kleine Auszeit als Selbstständige - vom Loslassen und Ausruhen habe ich angekündigt, dass ich fünf Wochen Auszeit nehme und nach Kanada fliege, um mich neu zu sortieren.
Es war nicht einfach, vor der Reise alle Sachen so eng getaktet zu bewältigen, die noch anstanden.
Da war die Steuererklärungen, Rechnungen, die ich schreiben musste, Termine verschieben und andere noch in letzter Sekunde wahrnehmen. Dann Koffer packen (nicht gerade mein Highlight, die Entscheidungen für die richtigen Klamotten bringen mich komischerweise immer noch aus dem Konzept), Wohnung übergeben (Homeswap fetzt), meinen Pflanzen und meinem Kombucha-Pilz Adieu sagen und dann - einfach loslassen.
Puh, fünf Wochen einfach nur ich. Und wir. Und kein Tatsinn. Ob das gut geht?
Wie meine Liebe zur Natur mich heilt
Meine schönsten Kindheitserinnerungen haben alle was mit Natur zu tun. Wenn man so will, war ich von Kindesbeinen an eine kleine Forscherin. Ich habe tagelang unser Teichwasser in kleinen Gläschen abgefüllt und die Mikrolebewesen unter dem Mikroskop erforscht. Da war ich schätzungsweise 9 oder so. Als Bäume auf unserem Grundstück wegen Blitzeinschlagsgefährdung gerodet wurden, habe ich mich unters Dachgeschoss verzogen und geweint, weil es sich anfühlte, als würde ich einen Freund verlieren.
Es hat länger gedauert, bis ich mich daran wieder erinnern konnte. Die Natur hat mich schon immer ausgeglichen. Genährt. Zu mir kommen lassen. Die Unbeirrbarkeit ihrer Jahreszeiten und Entscheidungen haben mir Kraft gegeben und mein eigenes Leben nicht mehr als so wichtig erscheinen lassen, wenn man unter einer Eiche sitzt, die 400 Jahre alt ist.
All das bietet Kanada!
Als erstes fällt diese wunderbare Weite auf. Selbst in Vancouver hat man eine Stadtbebauung vorgenommen, die es möglich macht, mitten in der Stadt durch Straßenfluchten hindurch die Berge zu sehen.
Weite mitten in der Metropole. Wahnsinn.
Doch auch mitten in der Stadt gibt es weitläufige Parks und sogar Hiking-Trails, die einen in andere Welten entführen. Atmen und innehalten.
Puh, ich hab das so sehr gebraucht. Bis ich dort war, wusste ich nicht einmal, wie sehr. Berlin ist hip und weltweit bekommt man Credits dafür, in dieser Stadt zu leben ("From Berlin? You guys are sooo lucky to live there!") Aber Berlin ist auch Beton. Und grau. Und eng.
Ja, im Vergleich zu Kanada kommt mir plötzlich ganz Deutschland wie eine Puppenstube vor.
Ich habe gemerkt, dass die Weite meinen Geist auch dehnt. Dass ich durch die Weite freiere Gedanken zu denken im Stande bin. Dass ich Weite in Deutschland vermisse.
Und die Wälder...wild und nicht so akkurat beforstet, ursprünglich und bemoost.
Meine Akkus sind immer voller und voller geworden mit jedem Spaziergang, jedem Trail und selbst beim Autofahren durch diese atemberaubende Landschaft.
Heiraten in Kanada - barfuß im Wald
Was ich vorher nicht verraten habe, teile ich jetzt mit euch.
Ich habe nicht nur fünf Wochen einfach mal eine Auszeit genommen, sondern in Kanada geheiratet.
Ja, das geht. Ja, das ist dann auch hier anerkannt. Hach, wie oft ich das gefragt worden bin.
Aber von vorne. Vor einem Jahr habe ich meiner Liebsten einen Antrag gemacht. Verlobt sein ist super. Vor allem, wenn man wie wir nicht wirklich eine Blaupause der perfekten Hochzeit seit Kindertagen im Kopf hat.
Eher so das Gegenteil. Ich bin gerne auf Hochzeiten eingeladen, ich freue mich über jede und jeden, die/der genau weiß, wie so ein Tag zu gestalten ist. Ich gehöre da nicht dazu. Mir treibt eine konventionelle Hochzeitsfeier Schweiß auf die Stirn. Wie kann ich dabei entspannen? Egal wie viel man vorher meditiert, wäre das glaube ich stressig. Also haben wir einfach in Kanada geheiratet. Und das hat mir die volle Kraft gegeben, mein eigenes Ding zu machen. Eine Hochzeit ohne Timetable und Bridezillas (immerhin heiraten hier zwei Frauen, was das Risiko erhöhen könnte), dafür in der Natur. Bei meinen Bäumen. Im Wald. Barfuß. Hach.
Wir haben uns für den Lighthouse Park in West Vancouver entschieden, die westliche Spitze Vancouvers, fernab von Downtown. Dort erstreckt sich ein Regenwald mit alten Douglasien, Lebensbäumen und großen Felsen, der sich zum Pazifik öffnet und die Sicht auf Vancouver freigibt.
Keine Bürokratie (Marriage Licenses gibt's gegen Vorlage von Pass und 100 Dollar im Drugstore um die Ecke), keine Standesbeamt*in mit Berliner "Charme" und 15min Abfertigung. Also perfekt für mich.
Es war ein wunderschöner und sehr freier Tag, perfektes Wetterchen und unsere Flitterwochen konnten auch direkt danach beginnen.
Es war keine leichte Entscheidung, fernab von Freunden und Familie zu heiraten.
Sie wurde auch nicht immer leicht aufgenommen.
Letztlich habe ich meine eigenen Bedürfnisse und Wünsche in den Vordergrund gestellt.
Etwas, das mir oft schwer fällt. Etwas, das oft zu Gunsten von Bedürfnissen Anderer zu kurz kommt.
Ich habe ganz deutlich an diesem Tag den süßen Schmerz dieser Entscheidung gespürt.
Doch vor allem habe ich mich gespürt. Habe ich gespürt, dass es richtig ist, den eigenen Weg zu finden auch auch zu gehen. Mutig voranzuschreiten und den eigenen Bedürfnissen zu lauschen. Das möchte ich für mich mehr etablieren.
Ich begebe mich auf den Weg, mich selbst mehr zu hören. Meine eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen. Und zu leben.
Offline und Off-Grid
Bin ich technologie-süchtig? Wahrscheinlich schon.
Internet hatte ich schon bedingt durch den Job meines Vaters, als andere noch nicht wussten, was das ist. Ein Bild mit mir als 9jährige zeigt mich vor Paint beim ersten Kontakt mit einem Laptop (!) und das war Anfang der 90er.
In Kanada habe ich keine SIM-Karte gekauft, wie beim letzten Besuch. Irgendwie dachte ich, es wird schon überall W-Lan geben. War aber nicht so.
Also hatte ich das Handy fast ausschließlich als Kamera dabei, meistens haben wir auch nur das meiner Frau (fühlt sich echt gut an, das nun zu sagen) dabei gehabt, schießt bessere Bilder.
Also keine ständige Ablenkung durch's Handy und most of the day: offline. Voll gut.
Auch 9 Stunden Zeitunterschied und das Bewusstsein, dass den Tag über in Deutschland alle schlafen, hat mir das Ausschalten und den Abstand leichter gemacht.
Auch Off-Grid durften wir bei meinem Cousin aus Kanada erfahren, der seit Monaten im Wald ohne fließendes Wasser und Strom lebt und damit so glücklich ist.
Eine Nacht im Wald fernab von allem Komfort am Lagerfeuer. Das bringt mich zurück zu mir. Jeden Tag ein Stückchen mehr.
Mal sehen, wie ich das in Berlin umsetzen kann, mehr Ruhe durch Offline-Zeiten in meinen Alltag zu bringen. Der Strom an Ideen und Inspiration ist so viel größer, wenn ich meinen Kopf wieder mehr benutzten kann.
Ankommen ist schwer
Zurück in Berlin ist mir schon vom letzten Kanada-Besuch in Erinnerung geblieben, dass der Kulturschock ein großer ist. Die "kill them with kindness Attitude" der Kanadier*innen und die rotzige Einstellung in Berlin könnte man als zwei gegensätzliche Pole beschreiben.
Gleich im Taxi wurden wir so barsch empfangen, dass wir gar nicht wussten, wie uns geschieht.
Eine Woche Eingewöhnung, Jetlag pflegen und ein paar private Dinge regeln haben wir uns gegeben.
Mein Herz ist voll von wunderschönen Wochen voller Weite, Freundlichkeit und wunderbarer Natur.
Nun gilt es, das, was ich dort erlebt habe, nach Berlin zu bringen, in meine Arbeit fließen zu lassen und davon zu zehren. Es bleibt spannend. Ich bin wieder da!
Alles (ist) Liebe
Ann-Carolin
TATSINN hilft Menschen und Organisationen dabei, gute Entscheidungen zu treffen, neue Perspektiven einzunehmen und Potential zu entfalten.
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