Wir leben in einer Welt voller Widersprüche. Sie wird jeden Tag komplexer und wir verzweifeln regelmäßig daran.
Doch es gibt Möglichkeiten, sich dennoch zu entscheiden.
Das Wort Ambivalenz kommt aus dem lateinischen, ambo=beide und valere=gelten.
Wie sich die Fähigkeit für Ambivalenz entwickelt
Wenn wir geboren werden, gibt es als Baby nur drei Zustände für uns,
die streng getrennt voneinander sind.
Wir sind entweder ruhig, sehr glücklich oder sehr unglücklich.
Die Entwicklungspsychologie geht davon aus, dass sich diese drei Systeme im Laufe der Zeit
immer mehr gegenseitig beeinflussen und modellieren. Es entsteht die Fähigkeit für Ambivalenz im Kind.
Wir können zum Beispiel die Mutter also abgöttisch lieben und uns dennoch über sie ärgern.
(Spoileralarm: Diese Ambivalenz bleibt erhalten ;-))
Doch mit der Zeit lernen wir, dass es nicht nur schwarz und weiß, sondern viele Grautöne gibt.
Ausgenommen davon sind zumeist Menschen, die mit Borderline oder einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung diagnostiziert sind. Diese halten Ambivalenz besonders schwer im Erwachsenenalter aus, da sie als Kinder schwere Traumata erlebt haben. Für sie gibt es weiterhin die Welt von schwarz-weiß und nur sehr wenig grau.
Ambivalenz und Entscheidungen treffen
Im Laufe unseres Lebens sind wir immer wieder vor Ambivalenzen gestellt.
Hier einige Beispiele aus meinen Coachings:
- Wenn ich meinen Partner verlasse, komme ich meinem Freiheitsdrang nach. Gleichzeitig brauche ich die Nähe und Geborgenheit, die mir die Partnerschaft gibt.
- Wenn ich aufs Land ziehe, bin ich wieder mehr in der Natur. Gleichzeitig mag ich die Annehmlichkeiten einer Großstadt sehr.
- Wenn ich mich gegen das Kinderkriegen entscheide, kann ich Karriere machen und mich voll ausleben. Gleichzeitig sehne ich mich nach dieser Erfahrung, Eltern zu sein.
Was fällt auf? Pro und Contra sind gleichwertig!
Was wir brauchen, ist die Fähigkeit mit diesen Ambivalenzen umzugehen.
Der Arzt Gunter Schmidt fordert, dass wir aus einer Problem-Trance in eine Lösungs-Trance gehen müssen. Denn irgendwann wollen/müssen wir uns entscheiden und drehen uns bei ambivalenten, also mehrdeutigen Themen gerne um das Problem, weniger um die Lösung.
Dieses Verhalten, uns immer wieder um das Problem zu kreiseln und uns den Kopf zu zermartern kann zu einem absoluten Stillstand führen. Eine Trance ist ein selbstauferlegter Schlaf, aus dem wir aufwachen können.
Das Faust'sche Dilemma der zwei Seelen, die in einer Brust ruhen.
Doch in diesen Situationen steckt auch viel Zauber.
Denn vermutlich sind wir nie mehr bei uns, als wenn wir uns innerlich zerrissen fühlen.
Sollte man sie also vielleicht sogar anstreben?
Ambivalente Situationen suchen, um wirklich an sich selbst zu arbeiten und die innere Haltung zur Welt zu reflektieren?
Wäre keine schlechte Idee, wenn wir auf unsere postmoderne Welt mit ihren vielen Widersprüchlichkeiten schauen.
In meine digitale Coaching-Praxis kommen viele Menschen, die gerade vor einer Entscheidung stehen.
Sie möchten mit mir gemeinsam alle Möglichkeiten reflektieren und sich dann bestmöglich entscheiden. Wenn eine wichtige Lebensentscheidung ansteht, investieren viele oft erstmals in ein Entscheidungs-Coaching, um alle Seiten zu betrachten.
Oft werde ich gefragt: "Woher weiß ich denn, was nun die beste Entscheidung für mich ist?"
Und ich antworte meist, dass ich es nicht weiß. Ich kann diese Entscheidung nur in dir herbeiführen, wenn du bereit dazu bist. Doch es gibt eine Methode, diese mit diesen Ambivalenzen umzugehen. Weiter unten mehr dazu.
Wir verdrängen Ambivalenzen gerne. Sonst würden nicht so viele Menschen (mich eingeschlossen) heiraten, wohl wissend, dass 50% der Ehen wieder geschieden werden ;-)
Sigmund Freud hat diese Verdrängung das "Lustprinzip" genannt. Wir wenden uns lieber dem Angenehmen zu, als an der Mehrdeutigkeit unseres Lebens zu zerbrechen.
O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? "Ich schlief, ich schlief -, Aus tiefem Traum bin ich erwacht: - Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh -, Lust - tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit -, - will tiefe, tiefe Ewigkeit!"
Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra (1883-1891)
Die EHEE-Methode
Wann immer uns Ambivalenz begegnet, kann diese Methode helfen, uns damit auseinanderzusetzen und nicht in den Lustgewinn zu entfliehen.
Die Methode kann immer wieder von vorne beginnen bei jedem Entscheidungsprozess. Denn je komplexer unsere Welt, desto mehr Entscheidungen ringt sie uns ab.
1. Erkennen
"Ich nehme hier eine Ambivalenz wahr. Zum einen gibt es X, zum anderen Y." Zunächst geht es darum, anzuerkennen, dass eine Situation ambivalent ist. Indem du das nicht nur wahrnimmst, sondern auch konkret benennst, was sich gegenübersteht, machst du deinen inneren Konflikt sichtbar.
Schreib es auf, das kann helfen, die Gedanken noch klarer zu sortieren.
Es ist erstmal ok, wie es ist. Nimm es an, als das, was es gerade ist. Kein "weg haben wollen", kein Verdrängen.
2. Haltung
Nun geht es darum, die innere Haltung zu checken.
Was ist mir in meinem System wichtig?
Welche meiner Werte tangiert es? (Wenn du deine Werte noch nicht ermittelt und aufgeschrieben hast - ich helfe dir gerne dabei) Beleuchte alle Seiten und Perspektiven, die die Situation bietet. Individuell, kollektiv, in deinem Inneren und im Außen. Schreibe sie wieder auf, um möglichst alles zusammenzutragen.
3. Entscheiden
Nun gilt es, eine Entscheidung zu fällen, die wertekonform für dich ist.
Denn Entscheidungen, die an unseren Werten vorbei getroffen werden, lassen uns schneller leiden und fühlen sich dauerhaft nicht richtig an.
Denke immer daran: (Fast) keine Entscheidung ist für die Ewigkeit. Die innere Ordnung, die durch eine Entscheidung hergestellt wird, ist nur eine temporäre Illusion.
Denn unsere Welt ist und bleibt chaotisch und ambivalent.
Du wirst dich immer und immer wieder entscheiden müssen. Dies ist nur eine Zwischenstation auf einer laaaangen Reise.
Ertragen
Auch wenn wir uns entschieden haben, wird es nie perfekt sein.
Ob's die richtige Entscheidung war, stellt sich auch meist erst später raus.
Diesen Zustand müssen wie ertragen, erdulden, tolerieren lernen.
Ich persönlich glaube übrigens nicht an falsche Entscheidungen, eher an Umwege, die wir im Leben nehmen, weil wir noch etwas lernen wollen/müssen.
Was uns dabei hilft, ist Achtsamkeit deiner Gedanken gegenüber. Also alles, was auf unsere Entscheidung hin folgt, zu beobachten und NICHT zu bewerten.
Erstmal einfach schauen, was passiert. Bis die nächste Ambivalenz um die Ecke kommt und der Prozess wieder von vorne beginnt.
Wichtig ist, dass du entscheidest, nicht still stehst und dich überwältigen lässt, sondern in deine Selbstwirksamkeit kommst. Auch wenn das Leben ambivalent ist, will es von dir, dass du es lebst und die Dinge tust, die du für richtig erachtest.
Go for it!
Alles Liebe
Deine Ann-Carolin
TATSINN ist eine One-Woman Show aus Berlin mit digitaler Coaching-Praxis. Lerne ortsunabhängig mehr über dich und deine inneren Welten kennen. Für ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben & Arbeiten
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