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Von introvertierten Spielverderbern

Die Kolumne für Intros von Janine erscheint einmal im Monat und gibt euch einen Einblick in das Gehirn eines introvertierten Menschen. Sie schreibt über ihre Wut, Depression und lässt nie Humor vermissen. Janine und ich haben uns bei unserer Coaching-Ausbildung kennengelernt und sind bis heute dankbar, dass zwei Weirdos zusammengefunden haben.

 


Introvertierte sind meistens schon von Geburt an am Arsch.

Die Teilhabe an familiärem oder außerfamiliärem Leben fühlt sich meistens an,

als würde man einen Goldfisch aus dem Glas holen, nur um ihn anschließend dafür zu verurteilen,

dass er so wehleidig nach Luft schnappt.

Und dann wird er geschüttelt und in die Sonne gehalten,

über die er sich doch freuen soll und am Ende ist er Schuld daran,

dass er dem Extrovertierten die Laune verdorben hat,

weil er jetzt einfach so abgekratzt ist.

Introvertierte sind im Grunde zu nichts zu gebrauchen.


Anlässlich von Familienfeiern beklagt sich meine Mutter bis heute darüber,

dass ich im Alter von 3 Jahren einen Fotografen in den Wahnsinn getrieben haben soll,

weil ich offensichtlich nicht bereit war, ihm ein “Lächeln zu schenken“.

Dieser Akt wurde als Ausdruck meiner chronischen schlechten Laune verstanden

und galt als maximale Unhöflichkeit diesem Lächelterroristen gegenüber.


Next level shit: Kindergeburtstage!

Umgeben von mindestens 5-10 anderen Kindern verliert

das introvertierte Menschlein ad hoc die Orientierung.

Hier waren Fähigkeiten wie oberflächliche Kontaktaufnahme,

standardisierte Floskelabsonderung und spontane Grüppchenbildung gefragt.


Ich stand also meistens irgendwo rum und konnte, so gerne ich gewollt hätte,

nicht übersehen, dass die Eltern des Geburtstagskindes offensichtlich verabredet hatten,

mit der Scheidung nur noch bis nach der Feier zu warten,

während die tollwütige Kinderschar, bis zum Bauchnabel in Säcken steckend,

um die Wette durch den Garten hüpfte.


Weil ich mittlerweile verstanden hatte, dass meine Umgebung traurig oder bockig wird,

wenn ich nicht Sack hüpfe oder lächle, fand ich mich früher oder später in einem dieser Dinger wieder, bereits ahnend, dass es Erwachsene besser haben, weil die sich wenigstens besinnungslos besaufen können, um solche Ereignisse wieder von der Festplatte zu löschen.



Und so ziehen sich diese Spielverderbermomente durch viele introvertierte Leben:


„Warum schaust du schon wieder aus dem Fenster, während ich dir versuche zu erklären,

dass du ohne höhere Mathematik nicht durchs Leben kommen wirst?“


„Weiß nicht, vielleicht, weil es zum ersten Mal schneit und ich kurz noch

vor Freude zu Ende weinen muss?! Sie etwa nicht?“


„Den Rest der Mathestunde verbringst du dann bitte vor der Tür,

du bist eine Zumutung für meinen Unterricht.“


„Sehr gerne, da kann ich dann weiter ganz hervorragend alleine sein.

Ich habe so viele Wechselbatterien für meinen Walkman dabei,

dass ich locker das neue Bon Jovi Album noch 8x hören kann,

während Sie hier versuchen meinen verblödeten Mitschülern,

die ganz wichtigen Dinge des Lebens beizubringen.“



 


„Sind sie teamfähig?“


„Wenn das bedeutet, dass ich mir über Stunden hinweg das Gelaber meiner überbewerteten, extrovertierten Kollegen reinziehen und mich damit abfinden muss, dass am Ende sehr wahrscheinlich nichts aber auch gar nichts dabei rauskommen wird, dann wohl eher nicht, denke ich.“



 

„Warum gehst du denn schon?“


„Weil es mir zu laut, zu kalt und zu langweilig ist und weil der Himmel gleich so aussieht, wie Peter Fox und ich ihn am liebsten haben, nämlich “Schwarz zu Blau“, was ich auf keinen Fall verpassen darf, während ihr versucht, bei schlechter Musik und in gefährlich halbnüchternem Zustand, doch noch jemanden zum Bumsen zu überreden. Die Pulle Pfeffi nehm ich dann noch mit, wenn’s Recht ist.“



 

„Wir empfehlen Ihnen, als Kind eines Alkoholikers, mal an einer Selbsthilfegruppe teilzunehmen.“


„Is klar, ich rede unheimlich gerne über meinen deepsten Scheiß in Gegenwart einer GRUPPE mir völlig fremder Menschen. Und sie, wo haben sie denn ihr Empathie-Diplom gewonnen?“



 

„Freust du dich auch so krass darüber, dass man jetzt endlich wieder in Restaurants gehen kann?“


„Du meinst die Orte an denen ich Anderen beim Essen zusehen muss?

Der Ort an dem ich Zeuge werde, dass alles, was das trostlose Pärchen am Nebentisch noch zusammenhält, dieser Scheiß Italiener ist, bei dem die 1x im Monat schweigend ihre Salamipizza zusammen runterwürgen und SIE am Ende so viel Weißweinschorle hinterkippen musste, dass sie Mühe hat den Laden nicht auffällig schwankend zu verlassen, während er aber nicht gewillt ist, ihr charmant den Arm hinzuhalten, weil er schon vor 15 Jahren jegliche Achtung vor ihr verloren hat?

Dieses kantinenmäßige Geklapper, der Geruch von billigem Parfüm und die Kellner denen man regelmäßig ein: Entschuldigung, darf ich IHNEN vielleicht noch was bringen, an den Kopf knallen möchte, weil wir Introvertierten ja anscheinend permanente Träger von Tarnkappen sind?

Also NEIN, darüber freue ich mich nicht.“



 


Für Extrovertierte klingt das alles wahrscheinlich nach maximalem Versagen, nach:

reiß dich doch mal zusammen, nach: wie schwach kann ein Mensch eigentlich sein?



Während ich das schreibe singt Jimi Hendrix “The wind cries Mary“ und versetzt mich damit in einen Zustand der absoluten Glückseligkeit, womit ich dann auch schon wieder bei Nirvana bin und bei der Frage, ob der Club der 27-jährigen eigentlich ausschließlich aus Introvertierten besteht?


Wenn die introvertiert wären, hätten sie nicht auf der Bühne gestanden,

würden Extrovertierte antworten.


Was wäre aber, wenn die Bühne einfach der Ort ist, an dem man am Besten alleine sein kann?


Der einzige, an dem es erlaubt ist, so zu sein, wie man wirklich ist.


Und dann träume ich vor mich hin, bis zu dem Moment,

in dem ich wieder dieses Game mitspielen muss und brauche mindestens

ne Zigarette um mit dem Qualm den Lärm einfach wegzublasen…



 


Über die Autorin



Alter: Meine Mutter sagt 41 Neigt zu: Hypochondrie, Depressionen, Prokrastination guilty pleasures: Verehrt Queen Elisabeth, trinkt Whisky auch manchmal mit Cola Kann nicht verzichten auf: Trüffel, Whisky ohne Cola, Streusel ohne Kuchen, Musik, Ehemann und Tochter Was andere sagen:Könntest auch erstmal guten Tag sagen, bevor du mir in die Fresse haust. Unnötigstes Talent: Kann nach einem Satz jede Folge Alf erraten.



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