Der Löwenzahn muss weg!
Sofern das auf dem Land lebende Umfeld nicht spaziert, zieht es in jedem verdammten Frühjahr in den Krieg. Unerschrocken tut der gemeine Eigenheimler, was er tun muss. Er sagt der Natur den Kampf an.

Zunächst erfolgt die Bemusterung sowie eine Inventur der Waffenkammern. Ein weiteres Mal hoffe ich, dass wenigstens Teile der kampfbereiten männlichen Gartentraum-Erfüllungsgehilfen einfach nicht mehr laufen können oder zu schwach sind um die elektrische Heckenschere zu bedienen. Fehlanzeige.
Die Aussicht für Ruhm und Ehre mitten auf dem Rasenkampffeld zu sterben, scheint die ansonsten blässlich vor sich hinlahmenden Kriegsversehrten in einem Maße zu motivieren, dass die königliche Garde der Queen vor Freude salutieren würde.
Die Inventur der Waffenkammern zieht sich über mehrere Wochen. Hacken, Spaten, Rasenmäher, Vertikutierer und vor allem die Düngervorräte werden inspiziert.
Es überrascht dann nur so mittel, dass das Verteidigungsministerium wie gewohnt zu dem Schluss kommt: es muss aufgerüstet werden. +
Alles was nicht wächst wie in „Mein schöner Garten“, hat hier nichts zu suchen.
Wir lassen uns nicht Überunkrauten, das Gartenboot ist voll. Der Etat wird aufgestockt. Ein Ausgleich erfolgt durch den konsequenten Konsum von 99 Cent Grillfleisch. Da muss man auch mal Opfer bringen.

Erinnerung an mich selbst in der Zeit von März bis Ende Juni: unter keinen Umständen am Wochenende einen Baumarkt aufsuchen.
Außer wenn dieses heimtückische Gras meinerseits nicht gemäht sondern geraucht wurde, Kinos immer noch geschlossen sind, ich nach adäquatem Unterhaltungsersatz suche und mich vorher mit ausreichend Karamellpopcorn eingedeckt habe. Dann ist es was anderes. Dann darf aber auch nichts gekauft werden, sonst neige ich dazu alle armen Containerbäume und Sträucher befreien zu wollen und wundere mich später über deutlich zu wenig Platz im Garten für 15 neue Marillenbäume oder so.
Außerdem verwirrt es den Ehemann, der weiß dann nie wie ernst mir der neue Schlafzimmeranstrich in einem Traum aus Stille-der-Gletscher-Eisblau wirklich ist und ob ich die Änderung des Schlafzimmerfarbkonzenzeptes morgen ohne Sustanzmitteleinfluss immer noch für eine gute Idee halte.
Als ordentliche Kriegsdienstverweigerin ziehe ich mit Picknickdecke,
Kaffeetasse und
sämtlichen Stuckrad-Barre Büchern
unter die nächstgelegene Birke. Noch ehe ich anfangen kann darüber nachzudenken, ob Stuckrad-Barre
einfach grundsätzlich zu feiern ist
oder wenn nicht, ob die Schuld dann ausschließlich bei mir liegt,
eröffnet der erste Nachbar
das Gefecht.
Eine Salve aus 15 Versuchen, den Benzinrasenmäher nach der Winterpause zu starten, lässt mich erstarren. Mit gekonnt heroisch-gequälter James Ryan-Miene wird nun über eine Dauer von unerträglichen vier Stunden das Kampfgerät über den nicht vorhandenen Rasen geschoben.
Der ist nämlich den Winter über nicht gewachsen.
Die Soldatenfrauen scheinen nun aber die völlige Verwahrlosung ihrer sterilen Gartenträume einerseits zu fürchten, andererseits sehnen sie sich mittlerweile stark nach öffentlicher Anerkennung ihres unermüdlichen Einsatzes für Haus und Garten.

Während sämtliches Staubgesauge, Treppengewische und Fenstgergeputze in den letzten sechs Monaten ungesehen verrichtet werden musste, ist im Rahmen der Gartenarbeit eines Sicher:
der Applaus der gesamten Nachbarschaft.
Sobald ich aus Versehen auch mal mit ner Harke durch den Garten laufe, ertönt Beifall. „Na, seid ihr auch fleißig?“, versucht mich die Nachbarin wie eine verblödete Drittklässlerin mit Lob zu konditionieren. Karamellpopcorn kannste rüber reichen, dann überleg ich’s mir vielleicht nochmal, denke ich. „Könnta bei uns gleich weiter machen.“, ergänzt ihr Gatte von der Mähfront. An welcher Stelle vermittle ich den Eindruck, als wäre das eine Option?
Es dauert nicht lange, da macht sich das Heer auf der anderen Gartenseite bereit, um für den Erhalt der deutschen Gartenordnung alles zu geben.
Während ich einen erneuten Versuch starte, meiner heiß ersehnten Stuckrad-Barre-Überlegung auf der Picknickdecke noch eine Chance zu geben, den Höllenlärm von links ignorierend, wuchtet Dirk, recht von mir, riesige Pflanzkübel durch den Garten. Geduldig wartet er auf die Anweisungen seiner Heerführerin. Dabei erinnert er mich an Heidi Klums Mädchen, wie sie leicht bekleidet bei minus 20 Grad an einem Kran hängen und lächeln, während die anorektische Grand Dame der Modelszene Anweisungen gibt. Hierbei lässt weder Heidi noch die Gattin des Nachbarn auch nur den geringsten Zweifel daran, dass jeder Eindruck von Qual zu einem unehrenhaften Ausscheiden aus der Truppe führen würde.

Nachdem sich das Gartenmilitär während der ordentlich geregelten, lärmfreien Nachmittagszeit ins Hausinnere zurückgezogen hatte -wozu auch im Garten sitzen?- bläst Athene zur letzten großen Schlacht.
„Dirk, der Löwenzahn muss weg!“ Da sitzt er nun, der Kriegsheld, mit müden Knochen, auf seinem Rollrasen,
fluchend über diesen verdammten Löwenzahn, der ihm im Falle einer Niederlage endlose Verachtung durch seine Athene einbringen würde.
Das treibt ihn an.
Und die Aussicht auf ein wohlverdientes, fachmännisch gegrilltes Schweinenackensteak.
Über die Autorin

Born and living in fucking Brandenburg
Alter: Meine Mutter sagt 41
Neigt zu: Hypochondrie, Depressionen, Prokrastination
guilty pleasures: Verehrt Queen Elisabeth, trinkt Whisky auch manchmal mit Cola
Kann nicht verzichten auf: Trüffel, Whisky ohne Cola, Streusel ohne Kuchen, Musik, Ehemann und Tochter
Was andere sagen: Könntest auch erstmal guten Tag sagen, bevor du mir in die Fresse haust.
Unnötigstes Talent: Kann nach einem Satz jede Folge Alf erraten.